Tommis sportlicher Werdegang

Liebe Freunde,

um meinen sportlichen Werdegang zu beschreiben, muss ich bis in meine Kindheit zurückgehen. Als Sohn des Erzgebirges liegt es wohl in meiner Natur, ein Faible für Wintersport zu haben. Nachdem ich das Laufen gelernt hatte, begann ich mit dem Skifahren. Kurz darauf fiel mir auf, dass es Leute gab, die nur einen Ski benutzen. Fortan fuhr auch ich nur noch mit einem Ski und ein neues Snowboardtalent war geboren. Leider muss ich euch enttäuschen: Mit der Profi-Karriere hat es nicht geklappt. Warum eigentlich nicht? Ich erlitt keinen schlimmen Unfall und zog mir auch sonst keine nennenswerten Verletzungen zu. Mit Beginn des fünften Schuljahres wuchs ich schlicht und ergreifend in die falsche Richtung, bis ich kurz vor meinem Abitur stolze 138 Kilogramm wog. Wie konnte das passieren? Um es kurz zu machen: die Wende brachte nicht nur die freie Marktwirtschaft in den Osten, sondern leider auch Junkfood, Fernseher, Computer und Spielekonsolen. Dazu kam noch eine wunderbare Familie, die ihrem jüngsten Sohn keinen Wunsch unerfüllt ließ. Als eher schüchterner Jugendlicher verlor ich mich mehr und mehr in der virtuellen Welt.

Aber so wie die Wende in Deutschland kam, kam am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 auch die Wende des Tommi. Diesen Tag werde ich nie vergessen. Ich ekelte mich vor meinem eigenen Spiegelbild, war wütend auf mein Übergewicht und genervt von den Strapazen und den Beleidigungen. Mit eiserner Disziplin stopfte ich ganz einfach weniger in mich hinein. Bereits nach kurzer Zeit purzelten die Pfunde und die Waage schmeichelte mir. Auch mein Spiegelbild konnte ich wieder ertragen. Weniger essen funktionierte also ganz gut aber es gab Phasen, wo ich zu wenig aß und prompt mit Infekten und Erkältungen bestraft wurde. Also nicht nur weniger essen, sondern auch gesund essen und mehr Bewegung in den Alltag fließen lassen. Voll motiviert schnürte ich die Laufschuhe und lief los, soweit mich meine Füße trugen. Nach 500 Metern brach ich zusammen. Fast bewusstlos lag ich auf dem Boden, starrte schwer atmend in die Luft und stellte mir die Frage: Sowas macht anderen Leuten Spaß? Okay, eine afrikanische Gazelle war ich also nicht. Dann ab ins kühle Nass und schwimmen. In der relativen Schwerelosigkeit des Wassers behinderte mich mein Gewicht auch nicht. Nur wie sollte ich ins Schwimmbad kommen? Auto, Motorrad, Laufen: keine Optionen für mich. Also schwang ich mich auf den Sattel und fuhr mit dem Fahrrad. Nachdem meine Oberschenkel jahrelang mein Gewicht getragen hatten, sollten es doch ein Klacks sein, Fahrrad zu fahren und tatsächlich machte mir schwimmen und radeln Spaß. Ich fühlte mich gut und die Pfunde purzelten weiter. Die Waage hörte gar nicht mehr auf, mir Komplimente zu machen. Wie durch ein Wunder konnte ich plötzlich meine Schnürsenkel im Stehen binden. Und nicht nur das! Die Bäche aus Schweiß, die mir früher beim Treppensteigen über den ganzen Körper rannen, waren versiegt. Mir ging es seit langer Zeit wieder richtig gut!

Mittlerweile war ich im Jahr 2005 angekommen und wartete auf die Zusage für mein Studium, während ich ein Praktikum in der Firma absolvierte, in der mein großer Bruder als Werkstudent tätig war. Diese fünf Wochen haben meinen sportlichen Werdegang extrem geprägt. In dieser Zeit trainierte mein Bruder wie ein Irrer für einen Triathlon. Ich selbst war beim Schwimmen mittlerweile im Freistil angekommen. Mit dem Rad legte ich immer größere Distanzen zurück und beim Laufen bildeten sich erst nach 500 Metern die ersten Schweißperlen. Ich war fit genug, meinen Bruder bei seinen Trainingseinheiten zu begleiten und ging bis an meine Grenzen, was mich sogar noch fitter machte. Außerdem nahm mein Bruder mich mit zum Lacrosse-Training. Ich habe mich sofort in diese Sportart verliebt und in den kommenden Jahren sollte sich das auch nicht ändern. So vergingen also die Wochen bis mein Bruder schließlich meinte, dass ich bereit für meinen ersten Olympischen Triathlon wäre. Na klar. Wenn du das sagst, bin ich dabei. „Olympisch“ klang so prunkvoll, dass ich keine andere Wahl hatte, als mich anzumelden. Mir hätte wahrscheinlich auffallen müssen, dass der Wettkampf bereits in 14 Tagen stattfinden sollte. Naja, was soll es. Wenn ich auf eine Sache in meinem Leben wirklich stolz bin, dann ist es die, dass ich mich vor noch keiner Herausforderung gedrückt habe, so unmöglich sie auch erschien. Also sprang ich am Wettkampftag fröhlich ins Wasser und legte die 1500 Meter im Kanal zurück. Gekleidet mit einem Surfneo, der mir zwar Auftrieb gab, mich in der Vorwärtsbewegung aber etwas einschränkte. In der Wechselzone fand ich mein Fahrrad in guter Gesellschaft einiger anderer Räder und motiviert in dem Wissen, nicht der Letzte zu sein, nahm ich einen Schluck aus meiner Wasserflasche, die ich dann auf meinem Gepäckträger verstaute und schob meinen Drahtesel mit stolzgeschwellter Brust auf die Radstecke. Kurz nachdem mein Vorderrad den Asphalt berührte, sprang mein Gesäß automatisch auf den mit Leder bezogenen Sattel meiner Rennmaschine. Ein Streckenposten bemerkte meinen halsbrecherischen Stunt und applaudierte mir mit den Worten: „Wenn du die 40 Kilometer mit dem Teil schaffst, spendiere ich dir ein Bier im Ziel!“ Ich musste kurz überlegen, was er meinte. Mein Gefährt hatte alles, was die Gesetze vorschrieben: Schutzbleche, Gepäckträger, drei Gänge, Licht und einen schicken Diamant-Stahlrahmen von 1952. Mit brennenden Oberschenkeln überstand ich die bergische Strecke ohne den Besenwagen in meinem Rücken zu erblicken. Zum 10-Kilometer-Lauf sei nur so viel gesagt: Flotte Walker hätten mich ohne Probleme überholt und mein Gehirn spielte eine Playlist von allen Fluchworten, die ich je in meinem Leben gehört hatte, auf Dauerschleife. Kurz vor dem Herzinfarkt erreichte ich mein Ziel und freute mich mehr darüber, nicht aufgegeben zu haben, als über den tollen Kuchen (und das Bier des Streckenpostens) im Zielbereich. Warum erzähle ich gerne aus dieser Zeit? Naja, es war der Anfang einer spontanen Idee, die im Jahr 2008 Wirklichkeit wurde. Mein Bruder erzählte mir von diesem „Ironman“ und ich hielt ihn für komplett geisteskrank.

So begann mein Studium der Sportökonomie und leider musste ich schnell feststellen, dass der Sport nur in Verbindung mit BWL einen ausschlaggebenden Punkt im Studium bot. Nach dem Grundstudium besuchte mich mein Bruder und wir feierten ein wenig. Ich erzählte ihm, dass der Sport momentan leider zu kurz kam und ich neben dem Kicken mit Freunden eigentlich keinen sportlichen Aktivitäten nachging. Eines alkoholreichen Abends erzählte er mir von seinem Vorhaben in Südafrika: „Ich greife dieses Jahr an und hole mir die Qualifikation für Hawaii!“ Als vorbildlicher kleiner Bruder entgegnete ich ihm: „Hör zu, ich komme in einem halben Jahr runter und feuere dich an, damit du dir deinen Traum erfüllst!“ Nach diesem Gespräch leerten wir noch mehr Gläser, die Musik wurde tanzbar und der Rest des Abends verschwamm. Am nächsten Morgen erwachte ich ernüchtert und mit einem seltsamen Gefühl im Magen. Warum? Nicht der Alkohol vom Vortag war schuld, sondern eine Mail in meinem Posteingang: „Herr Krell, wir bedanken uns für die Teilnahme an der Verlosung eines Startplatzes für den Ironman Südafrika. Voller Freude dürfen wir Ihnen mitteilen, dass sie einen Startplatz zugelost bekommen haben. Wir freuen uns auf Sie!“ Moment, ich hatte einen Startplatz für den Ironman Südafrika? Wann, wie, wo und warum? Wie viel hatte ich eigentlich getrunken? Diese Fragen geisterten mir im Kopf herum. Ich riss meinen Bruder aus dem Schlaf und fragte ihn: „Kannst du mich in sechs Monaten für einen Langdistanztriathlon fit machen?“ Er hatte nur ein müdes Lächeln für mich übrig, realisierte die Fakten aber ziemlich schnell, als er die Mail las. Okay, es würde hart werden, aber nicht unmöglich. Ankommen und Überleben waren meine Ziele. Das nächste halbe Jahr der Vorbereitung war unglaublich. Ich integrierte Laufen, Schwimmen, Radeln und Stabilisationstraining in meinen Alltag. Damals merkte ich, was körperliche Betätigung im Alltag für positive Wirkungen haben kann. Ich wurde fitter, schlanker, mein Gang immer aufrechter und die geistige Leistungsfähigkeit enorm. Ich schlief acht Stunden pro Nacht, verzichtete komplett auf Alkohol und ernährte mich leistungsgerecht. Ich erreichte Bestpunkte in meinen Prüfungen und entwickelte ein unglaubliches Selbstbewusstsein. Außerdem absolvierte ich einen 10-Wettkampf in unter 40 Minuten. Im April 2008 war es dann soweit: gemeinsam mit meinem Bruder flog ich nach Südafrika. 14 Tage vor dem Wettkampf kamen wir in Port Elisabeth an, um die letzten Trainingseinheiten in der Hitze gemeinsam zu absolvieren. Umso näher der Start rückte, umso nervöser wurde ich. Zwei Tage vor dem großen Tag geschah dann ein Desaster! Wir wollten uns etwas gönnen und gingen in ein italienisches Fischrestaurant, um unsere Kohlenhydratspeicher für den Wettkampf zu füllen. Genüsslich verschlang jeder von uns zwei Portionen Pasta mit vor Ort gefangenem Fisch. Echt lecker. Am Abend stellten wir dann fest, dass mit dem Fisch irgendetwas faul war. Wir hatten uns eine Lebensmittelvergiftung zugezogen und konnten die nächsten Tage gar keine Speisen im Magen behalten. Eine Erfahrung, auf die ich liebend gern verzichtet hätte. Allerdings wollte keiner von uns aufgeben und so machten wir einen Deal: kurz vor dem Einschwimmen würde jeder von uns eine Banane essen und wenn sie im Magen bliebe, würden wir es durchziehen. Sie blieb im Magen, also ab an den Schwimmstart. Wagemutig stellte ich mich neben das Schild für die Zwei-Stunden-Schwimmer. Ich hatte im Training schließlich nie die 3,8 Kilometer am Stück absolviert. Schnell stellte ich fest, dass das ein Fehler war. Ich kämpfte mich durch das Treibholz vor mir und verlor dabei viel Zeit. Auf dem Rad fühlte ich mich hingegen richtig wohl und flog die 180 Kilometer an den schnelleren Schwimmern vorbei. Ein geiles Gefühl. Im Wechselzelt angekommen stellte ich fest, dass die abgestellten Fahrräder überschaubar waren und davon angespornt stellte ich mich dem abschließenden Marathon. Die ersten fünf Kilometer lief ich wie auf Wolken und es kam mir überhaupt nicht so vor, als hätte ich schon eine gewaltige Strecke auf dem Fahrrad und eine anstrengende Einheit im Wasser hinter mir. Nach acht Kilometern spürte ich meine Oberschenkel zum ersten Mal. Nach 15 Kilometern meldete sich mein vergifteter Magen und ich musste mich am Straßenrand übergeben. Egal, Mund abwischen und weiter zur nächsten Verpflegungsstation. Dort angekommen nahm ich mir alle Gels und füllte meinen Magen mit allen Bananen, die ich finden konnte. Rückblickend betrachtet war das keine gute Idee. Nach 20 Kilometern konnte ich keinen Schritt mehr laufen und übergab mich insgesamt 14 Mal. Ich erinnere mich sehr genau daran, weil ich gezählt habe, um mich von den Schmerzen abzulenken. Aufgeben war aber keine Option. Nach 12 Stunden, 12 Minuten und 24 Sekunden erreichte ich die Ziellinie und brach zusammen. Ich kann mich noch an das Gespräch mit dem Arzt erinnern:

„Wir bringen Sie ins Krankenhaus!“

„Warum?“

„Weil Sie neun Kilo leichter sind als am Start.“

Danach schlief ich ein und erwachte mit allen möglichen Schläuchen in meinem Körper. Kurze Zeit später durfte ich aber wieder ins Hotel zurück. Dort schlief ich weiter und der Muskelkater am nächsten Tag war der schrecklichste und zugleich geilste meines Lebens. Die Teilnahme als jüngster Ironman 2008 ist bis heute mein sportlicher Höhepunkt.

Anschließend beendete ich mein Studium und Sport ist seitdem ein fester Bestandteil meines Lebens. Nach meinem Bachelor ging ich nach Frankfurt, um in das Berufsleben einzusteigen. Zwei Jahre lang arbeitete ich sehr viel und wurde mit neuen Aufgaben überhäuft. Am Ende dieser Zeit war Sport nicht mehr präsent und mein Körpergewicht stieg mit meiner Unzufriedenheit. Es musste sich schnell etwas ändern! Ich flog nach Soma Bay und arbeitete zwei Monate als Surflehrer. Meine gute Laune kam zurück und mein Strandkörper blieb. In dieser Zeit kam ich zu der Erkenntnis, dass ich nie wieder ein Schreibtischtäter sein wollte. Die nächste Station war dann das wunderschöne Nürnberg, wo ich gemeinsam mit meinem Bruder drei Radrennen organisierte und wieder regelmäßig trainierte. Kurze Zeit später heuerte ich auf einem Kreuzfahrtschiff als „Bikeguide“ an. Zur Erklärung: Manche Schiffe besitzen Fahrräder an Bord, die für diverse Touren auf dem Festland genutzt werden. Zwei Jahre lang fuhr ich fast täglich mit motivierten Gästen Fahrrad und erkundete gemeinsam mit ihnen viele Städte und Landschaften. In dieser Zeit unterweis mich der Personal Trainer an Bord im Krafttraining und ich erkannte, was für ein Potenzial in dieser Sportart steckt, welche positiven Effekte ein smart eingebautes Krafttraining auf den gesamten Trainingserfolg hat. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, absolvierte ich eine Ausbildung zum Personal Trainer und wusste instinktiv, dass ich meine wahre Berufung gefunden hatte. Ich liebe es, mit Menschen zu arbeiten und gemeinsam mit ihnen Ziele zu erreichen. Bereits während meiner Ausbildung buchte mich auch schon eine Dame. Damals dachte ich, diese Frau sei todesmutig, wenn sie einen angehenden Trainer in der Ausbildung bucht. Was soll ich sagen? Diese Dame ist immer noch meine Kundin, wiegt 25 Kilo weniger, hat keine Knieschmerzen mehr und läuft in diesem Herbst gemeinsam mit mir ihren ersten Halbmarathon.

Euer Tommi